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„Teil der Familienerinnerung“

Für Anna Meier-Osiński, Leiterin der Abteilung Tracing beim ITS, ist die Rückgabe der Gegenstände an Familien ein besonderes Anliegen

Anna Meier-Osiński, Leiterin der Abteilung Tracing, arbeitet seit 2015 beim ITS. Sie erklärt, wie und warum der ITS die verwahrten persönlichen Gegenstände aus Konzentrationslagern aktiv zurückgibt. Und welchen Wert die Erinnerungsstücke für die Besitzerfamilien haben.
 
Seit wann sucht der ITS aktiv die Besitzer der persönlichen Gegenstände ehemaliger KZ-Häftlinge?
 
Lange gehörte es nicht zu den Aufgaben des ITS, ohne Anfrage zu suchen. Wir halten es jedoch für ausgesprochen wichtig, alles zu versuchen, um die persönlichen Gegenstände an Familienangehörige auszuhändigen. Deshalb haben wir 2016 Testläufe durchgeführt und bei Behörden und Archiven nach Spuren zu Familien recherchiert. Aufgrund des Erfolgs haben wir uns entschieden weiterzumachen. Deshalb suchen wir jetzt zum ersten Mal seit den 1960er Jahren wieder aktiv, um die persönlichen Gegenstände von KZ-Häftlingen aushändigen zu können. Über viele Jahre hatte die damalige Leitung des ITS gedacht, alle Suchwege seien ausgereizt. Es wurden nur noch dann Gegenstände ausgehändigt, wenn Überlebende oder deren Familien sich selbst mit Anfragen an den ITS wandten.
 
Der ITS hat ja auch die Suchspezialisten im eigenen Haus. Und über soziale Medien, das Online-Archiv oder Kampagnen in anderen Medien finden die nun schnell externe Unterstützer...
 
Genau. Unsere dafür zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nun sehr erfolgreich bei dieser aktiven Suche. Außerdem erhöhen Fernsehauftritte die Bekanntheit des ITS enorm, wie wir zum Beispiel in den Niederlanden und Polen gesehen haben. Danach konnten wir mit Hilfe des Internets unser Netzwerk erweitern und viele engagierte Helfer gewinnen.
 
Aus welchen Ländern stammen denn die Besitzerfamilien hauptsächlich?
 
Von KZ-Häftlingen aus Deutschland und Polen haben wir viele Erinnerungsstücke, aber auch von Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion und Frankreich. Das meiste stammt aus dem Konzentrationslager Neuengamme. Wir bewahren viele Uhren auf, Ringe und anderen Schmuck, aber auch Alltagsdinge wie Spiegel oder Puderdosen. Dazu kommen Brieftaschen, Zeugnisse, Ausweise, Briefe und Familienfotos.
 
Zu den Dokumenten gehen bestimmt viele Hinweise ein.
 
Ja, Namen und Orte sind natürlich wichtige Hinweise. Bei Fotos ist der Anreiz, sie zurückzugeben besonders hoch. Man kann sich vorstellen, wie wichtig Bilder den Angehörigen sind. Es gab damals ja – anders als im heutigen digitalen Zeitalter – nur wenig Fotos.
 
Bringt der ITS deshalb diese Dinge nicht ins Museum, sondern gibt sie eben den Familien wieder?
 
Wir stellen persönlichen Besitz, den wir noch nicht zurückgeben konnten, auch für Ausstellungen zur Verfügung. Aber wir dürfen nicht vergessen: Die Nationalsozialisten haben die Gegenstände den Menschen abgenommen. Sie sind namentlich zugeordnet, und wir haben sie, um sie zurückzugeben. Sie sind Teil der Familienerinnerung. Das bestätigen uns die emotionalen Reaktionen. Die Menschen sind überrascht, nach 70 Jahren von solchen Besitzstücken zu erfahren, und verstehen es häufig als Wink des Schicksals. Vieles von der Familiengeschichte wussten sie vielleicht gar nicht, was sich nun im Zuge der Rückgabe klärt.
 
Sie werden also weitermachen und die gezielte Suche fortsetzen?
 
Ja, auf jeden Fall. Die Kampagne #StolenMemory ist für uns ein ganz wichtiges Projekt. Wir werden den Radius erweitern und in immer mehr Ländern nach Angehörigen suchen. Die Erfahrungen, die wir bei den Recherchen in Polen, Deutschland und Frankreich sammeln, werden uns dabei helfen. Die vielen Rückgaben 2017 sind eine große Motivation!